Petra Karallus, Leiterin der Krisenhilfe Münster e. V., spricht in einem Interview mit der „Forum intern“ der Stadt Münster über Krisen als Chance und stellt dabei die Arbeit der Krisenhilfe Münster e. V. vor.
Betriebliche Sozialberatung: Interview mit Petra Karallus, Leiterin der Krisenhilfe Münster
Krise als Chance
von Astrid Eikel
Alle Menschen erleben Krisen – sei es im Beruf, in der Familie oder im Privatleben. Den meisten gelingt es, mit diesen Krisen konstruktiv umzugehen. Manchmal ist allerdings Unterstützung zur Krisenbewältigung notwendig. Hilfe kann neben der betrieblichen Sozialberatung die Krisenhilfe Münster e. V. bieten. Ein Gespräch mit deren Leiterin Petra Karallus …
Astrid Eikel: Frau Karallus, welchen Zustand würden Sie als Krise bezeichnen?
Petra Karallus: Nach meinem Verständnis handelt es sich um eine Krise, wenn ein Mensch folgenden Eindruck hat: „Ich bin in einer Situation, die für mich unerträglich ist, in der ich für mich nicht mehr weiterkomme und die so viel Energie schluckt, dass ich keinen Ausweg mehr sehe.“ Damit einher geht dann auch oft das Gefühl, Hilfe zu benötigen und der Entschluss, Kontakt zu einer Beratungsstelle aufzunehmen. Wann dieser Zustand erreicht ist, hängt aber sehr von der individuellen Situation und Person ab.
Mit welchen Anliegen kommen die Leute zu Ihnen?
Im Wesentlichen geht es schon um Suizid und alles, was sich darum herum abspielt. Also um Menschen, die suizidale Gedanken haben, was auch oft einhergeht mit psychischen Erkrankungen. Es melden sich aber auch Menschen bei uns, die jemanden durch Suizid verloren haben und wo es um Trauerbegleitung geht. Außerdem kommen auch Freunde, Verwandte, Mitarbeiter von Firmen, Mitschüler und Lehrer, die sich Gedanken machen um jemanden, die oder der suizidale Gedanken äußert, und die nicht wissen, wie sie sich verhalten sollen. Was macht man in einer solchen Situation? Da will man helfen, hat aber keine Erfahrung, ist völlig überfordert und möchte vor allem auch nichts falsch machen. Das ist schon eine schwierige Lage, in der die Mitbetroffenen aus dem Umfeld für jede Hilfe dankbar sind.
Oft begegnen uns die Themen Beziehung und Trennung. Das ist gerade bei jungen Menschen aktuell, aber auch Menschen im Alter von Ende 40 bis Mitte 50 oder darüber hinaus erleben immer häufiger Trennungskrisen – manchmal einhergehend mit dem Verlust des Arbeitsplatzes. Partner, deren Kinder das Elternhaus verlassen, stellen dann plötzlich fest: „Meine Ehe stimmt nicht mehr so ganz.“
Ich glaube es hilft sich vorzustellen, dass es bestimmte Säulen gibt, die uns Stabilität im Leben geben: Der Job mit der beruflichen Identifikation und der finanziellen Absicherung, das Private, das Gesundheitliche, die Familie, Freunde, das soziale Leben, der Glaube an etwas. Wenn eine dieser Säulen „wackelig“ wird, kann man das meist noch kompensieren. Wenn allerdings mehrere instabil werden und man dann weder im familiären noch im sozialen Umfeld einen Ansprechpartner hat, droht ein existentieller Einbruch, bei dem jeder von uns massiv in eine Krise abrutschen kann. Je mehr Säulen in ihrer Stabilität gefährdet sind, desto massiver empfinden die Betroffenen diese Krise.
Wenn es für uns erkennbar in Richtung psychischer Erkrankungen geht, erkundigen wir uns zunächst, ob es schon Erfahrung mit Therapien gibt. Auch hier begleiten und unterstützen wir bei der oftmals schwierigen Suche nach einem geeigneten Therapeuten. Dabei bieten wir zunächst niederschwellige und sofortige Hilfe in Gesprächen an. Dabei wollen und können wir die psychotherapeutischen Profis nicht ersetzen, aber wir können eine Art „Erste Hilfe“ sein, eine vielleicht sogar für das Überleben notwendige Überbrückung. Folgerichtig begleiten wir keine Menschen, die schon in einer Therapie sind. Ausnahme: Jemand ist in Therapie und möchte zusätzlich in die Trauerbegleitung bei uns. Dazu muss man wissen, es gibt in Münster viele Trauergruppen, aber nur die von uns angebotene ist ausschließlich für Angehörige, die jemanden durch Suizid verloren haben. Bei diesem Thema sind wir gut mit den Psychotherapeuten vernetzt, die unsere ergänzende Arbeit schätzen und daher gerne unsere Adresse weitergeben.
Allerdings beraten wir als Krisenhilfe nicht nur Menschen in einer akut suizidalen Krise. Wir wollen auch verhindern, dass Menschen überhaupt in eine dieser Negativspiralen reinkommen und dadurch suizidale Gedanken entwickeln. Es ist daher wichtig, so früh wie möglich ansetzen, wir sind da so eine Art Auffangbecken. Zu uns kann man erstmal mit allen Problemen kommen und dann gucken wir gemeinsam, wo es hingeht. Im Ergebnis könnte man sagen, wir sind die „Feuerwehr“ im Krisenbereich.
Wie gehen Sie mit Menschen um, die in einer Krise sind?
Das ist der wichtigste Aspekt, unser Umgang. Dabei versuchen wir zunächst, die Menschen dort abzuholen, wo sie sich befinden. Wir gehen mit ihnen rein in ihre Krise und schauen gemeinsam nach, wo sie gerade stehen. Dort versuchen wir die Person aufzufangen mit allem, was in ihr vorgeht. Dabei spielen Gefühle wie Wut, Trauer, Vorstellungen, Kränkungen, Wünsche eine große Rolle. Sie müssen erkannt und zugelassen werden, um einen Weg raus aus der Krise zu finden.
Sie müssen wissen, Betroffene sehen ihre Krise meist als dunklen und geschlossenen Raum, wo es weder Fenster noch Türen gibt, ohne Licht und ohne Ausgang. Wir steigen da mit ein und schauen zusammen mit den Betroffenen, ob es nicht doch eine Tür gibt, die geöffnet werden kann. Entlastung ist an der Stelle ein wichtiges Stichwort. Wir versuchen, diese kaum aushaltbaren Situationen zu erleichtern.
Oft kommen Menschen mit der offen ausgesprochenen Erwartungshaltung: „Sie müssen mir einen Rat geben. Sie sind ja Fachfrau und können das.“ Wichtig ist aber meist, einfach zuzuhören – ohne kluge Tipps oder Ratschläge. Es tut den Menschen gut, wenn sie merken, dass wir Situationen mit ihnen zusammen aushalten können. Natürlich muss man dann auch sehr empathisch und authentisch sein. Um Ihre Frage in einem Satz zu beantworten: Wichtig ist, mitfühlend in die Situation reinzugehen und von dort aus offen zu sein, den Blick in verschiedene Richtungen wandern zu lassen.
Wie spreche ich jemanden an, wenn ich mir große Sorgen mache?
Es klingt profan, aber sagen sie doch einfach und authentisch: „Ich mache mir große Sorgen.“
Wie kann ich Sie kontaktieren?
Erste praktische Informationen, aber auch solche zur Erreichbarkeit und zur Arbeit der Krisenhilfe erhält man auf unserer Homepage unter www.krisenhilfe-muenster.de. Die Kontaktaufnahme für eine persönliche Beratung erfolgt dann telefonisch. Unsere ehrenamtlichen Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter sind nach 18-monatiger Schulung damit vertraut, den Ratsuchenden mit ihren unterschiedlichsten Anliegen kompetent, individuell und natürlich vertraulich weiterzuhelfen.
Mit welcher Wartezeit und welchen Kosten muss jemand rechnen, der sich an Sie wendet?
Für uns ist es wichtig, in akuten und suizidalen Krisen sofort zu helfen. Wir bieten daher schnellstmögliche Unterstützung innerhalb von 24 Stunden nach einem Anruf an. Für Hilfesuchende ist unsere Beratung immer kostenlos. Wir sind auf Spenden angewiesen.
Welche Möglichkeiten gibt es, bei Ihnen mitzuarbeiten und sich selbst zu engagieren?
Die Krisenhilfe lebt vom ehrenamtlichen Engagement. Für diese Arbeit suchen wir immer engagierte Menschen. Dabei ist der berufliche Hintergrund unwichtig, zukünftige Berater sollten über 30 Jahre alt sein, Lebenserfahrung und Reflexionsvermögen mitbringen und womöglich auch schon eigene Krisen gemeistert haben.
Wo steckt die Chance in der Krise?
Krisen erleben wir in der Regel als beschwerlich und ermüdend, sie fordern uns heraus. Es gilt hinzusehen, die Krise anzunehmen und sich mit dem eigenen Leben auseinanderzusetzten. Standpunkte müssen womöglich verändert und verschiedene Blickwinkel eingenommen werden. Erst dann sind wir in der Lage, Verhaltensalternativen zu finden. Diese Phasen sind anstrengend. Wenn wir jedoch in der Lage sind, uns auf diesen Prozess einzulassen, bergen sie auch immer eine große Chance auf Wachstum und Neubeginn. F
Das Interview ist ein Auszug aus der „Forum intern“ der Stadt Münster | 82 | März 2016 | S. 6-7